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Meine Träume, meine Schicksalsschläge – ein Leben wie in einer Achterbahn

Meine Träume, meine Schicksalsschläge – ein Leben wie in einer Achterbahn

Ute Gütschow
Traeume - The Bold Woman

20. August 2016 – zurückgekehrt von einer fantastischen Motorradtour durch das Tegernseer Tal sitze ich mit meinem Mann auf der Terrasse unserer Urlaubswohnung am Schliersee. Ich schaue auf Berge und Wasser und träume so vor mich hin. Wieder einmal höre ich mich selber sagen: Ach, wie schön wäre es wohl, wenn wir nicht jedes Mal 650 km fahren müssten, um solche schönen Aussichten zu genießen. 

Zu dieser Zeit wohnten wir in Düsseldorf. Oft sprachen wir davon, wie schön es wäre, hier im Süden Bayerns zu leben und dass wir die Menschen beneiden, die hier geboren sind. Deshalb zog es uns an freien Tagen immer wieder so sehr an den Alpenrand. Dann ging es nach Bayern, nach Tirol oder Südtirol. Doch dieses Mal war es anders. Mein Dahinschwelgen fühlte sich irgendwie nicht mehr an wie reine Träumerei. Da war irgendetwas reales.

Es sollte sich auch bald herausstellten, warum die Träumerei realer war als sonst.

Am Abend kamen mein Sohn und seine heutige Frau aus München zu Besuch und hatten großartige Neuigkeiten dabei.

Plötzlich war alles anders

Die beiden erzählten uns freudestrahlend, dass sie im Jahr drauf und zwar am 7.7.2017 am Tegernsee heiraten und zwei Kinder haben möchten.

Dieser Moment stellte mein Leben völlig auf den Kopf.

Puh – ich kann gar nicht in Worte fassen, was mir alles durch den Kopf ging. Pure Freude und Panik zugleich. Die Vorstellung, 650 km von meinen zukünftigen Enkelkindern entfernt zu leben, war einfach nur schmerzlich. Der Gedanke ließ mich nicht mehr los.

Plötzlich passierte etwas mit mir. Meine Träumerei nahm Gestalt an. Ich überlegte ernsthaft, was denn so schwer daran sein sollte, die Koffer zu packen und nach Bayern umzuziehen. Dann ertappte ich mich, dass ich bereits dabei war, mir alles vor meinem geistigen Auge vorzustellen. Es war plötzlich alles so real, fühlte sich echt und richtig an, so als ob dieser Weg für unsere Lebensplanung vorbestimmt wäre.

Mein Traum wird wahr

Wir machten unseren Traum wirklich wahr. Nur viereinhalb Monate später – am 2. Januar 2017 stand in Düsseldorf der Möbelwagen vor der Tür und einen Tag später kam er dann in unserem neuen Zuhause im Südosten Bayerns an.

Das, was sich jetzt so einfach anhört, war allerdings alles andere als einfach. In diese viereinhalb Monate habe ich all meine Kraft, Power und Energie gesteckt. Ich stand kurz vor der völligen Erschöpfung. Es war so viel zu erledigen und zu regeln wie selten zuvor:

Ein neuer Job musste her, ein neues Zuhause war zu finden und gleichzeitig der Umzug zu organisieren. Es hat viele Wochen gedauert, alles, was wir über Jahre angesammelt hatten, einem Bestandscheck zu unterziehen, auszusortieren und schließlich zu verpacken. Mit dem heutigen Abstand frage ich mich immer mal wieder, wie das eigentlich in weniger als sechs Monaten möglich war und wie ich es geschafft hatte, die vielen unsicheren Momente und Zweifel, vor allem meines Mannes, auszuräumen.

 

Ute Gütschow an der Schlierseealm - The Bold Woman
Ute Gütschow an der Schlierseealm – The Bold Woman

Meine durchdachte Lebensplanung

Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, wie ich das alles geschafft hatte. Ich hatte ein starkes Warum, das mich wie ein Motor angetrieben hat. Mein Warum war so stark, dass ich fokussiert auf dieses Ziel hinarbeitete und wie von Zauberhand gesteuert alles Nötige tat, um es zu erreichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war der Zeitplan. Ein Ziel ist bekanntermaßen ein Plan verbunden mit einem Datum. Mein Ziel war es, am 1.1. einen neuen Job in München anzutreten. Das war weniger als ein halbes Jahr und damit wirklich sportlich.

Ich wollte keine Fehler machen. Deshalb gönnte ich mir als professionelle Unterstützung für die Jobsuche erst einmal eine sehr erfolgreiche Personalberaterin. Diese Investition habe ich bis heute nie bereut. Ich war in dieser Zeit so hoch motiviert und mental gestärkt, dass ich aufkommende Zweifel, ob ich als Frau mit über 50 überhaupt noch eine Chance am Arbeitsmarkt habe, sofort im Keim erstickte. Stattdessen schrieb ich meine bisherigen beruflichen Erfolge und wichtige Meilensteine nieder. Das machte mich richtig stark und ein bisschen stolz, weil ich mir dadurch selbst bewusst vor Augen geführt habe, was ich alles bereits aus eigener Kraft erreicht habe. Und schließlich habe ich es viel schneller geschafft, meinen Wunschjob zu finden, als je ein anderer Kunde bei meiner Personalberaterin vor mir. Und das in München zu meinen Wunschkonditionen.

Meine Schicksalsschläge

Eigentlich ist diese Veränderung selbst schon etwas Großes, etwas Besonderes. Aber es war nicht mein erstes Mal und nicht die erste große Herausforderung in meinem Leben. Vielleicht hört sich das jetzt sogar alles an wie ein schönes Märchen. Vielleicht lässt diese Geschichte die Vermutung aufkommen, dass mein Leben auch bisher wunderbar und erfüllt war.

Doch weit gefehlt. Mein Leben war und ist wie die Fahrt auf einer Achterbahn. Ein ständiges Streben nach Glück mit Höhen, Tiefen und existenzbedrohenden Schicksalsschlägen versehen. Als drittes von fünf Kindern eines alkoholkranken Vaters war ich von Anfang an benachteiligt und fühlte mich häufig schuldig und ungeliebt. Das führte zu Neid und manchmal zu ungerechtem Verhalten meinerseits.

Ich war neidisch auf die Kinder, die es erleben durften, wie es ist, in den Urlaub zu fahren, ein eigenes Fahrrad zu haben und von ihren Eltern geliebt, wertgeschätzt und gefördert zu werden. Das wollte ich auch alles haben. Doch ich dachte immer, ich hätte keine Chance auf ein glückliches Leben. Deshalb nutzte ich schon als Teenager jede Möglichkeit, mir in der Freizeit ein paar Mark zu verdienen. So konnte ich meinen Gitarrenunterricht bezahlen und mir auch mal eine schicke Jeans leisten.

Der Wunsch, aus der finanziellen Misere herauszukommen war unfassbar groß und führte zu einem fast schon krankhaften Ehrgeiz. Ich lernte und lernte, wann immer ich konnte. Ich tat alles für eine hervorragende Bildung und die Möglichkeit, studieren zu können. Ich wollte einfach dafür sorgen, es mal besser zu haben, wollte meiner Mutter einen Urlaub schenken können und später meinen Kindern mehr bieten können, als ich selbst bekommen habe. So ging ich meinen Weg und hatte es schließlich wirklich geschafft, schon direkt nach meinem Studium als Selbständige ein höheres Einkommen zu verdienen als andere in meinem Alter, die angestellt waren.

Doch dann passierte etwas Schreckliches. Von einem Tag auf den anderen gab ein tragisches Ereignis meinem Leben eine Wendung. Ich stand gerade kurz vor der Gründung meines eigenen Unternehmens und hatte den Mietvertrag für meine eigene Agentur schon in der Tasche.

Es war ein furchtbarer Schicksalsschlag, der von einer Minute auf die andere alles änderte. Es geschah am 12. Oktober 1995. Ich kam von einer Besorgung nach Hause. Meine Nachbarn standen ganz aufgeregt vor meiner Tür. Sie sagten, dass die Polizei da war. Etwas ganz Schlimmes sei passiert. Mein damals 12-jähriger Sohn war auf dem Schulweg mitsamt seinem Fahrrad von einem Auto erfasst und 30 m mitgeschliffen worden. Drei Männer mussten das Auto anheben, damit zwei weitere meinen Jungen hervorziehen konnten. Und mein Sohn? Er atmete nicht mehr. Zum Glück hatte ein weiterer Mann, der das Geschehen aus einem Fenster beobachtete, sofort einen Rettungshubschrauber gerufen. Als ich ins Krankenhaus kam, war mein Sohn bereits an der Herz-Lungen-Maschine angeschlossen. Er konnte nicht mehr selbständig atmen und hatte nur noch einen schwachen Pulsschlag. Sein Oberkörper war aufgedunsen, die Reifen des Autos hinterließen deutliche Spuren auf seiner Brust. Er war bläulich-lila angelaufen. Die Aussichten waren schlecht. Die Ärzte sagten mir, er sei im Koma. Jetzt käme es darauf an, ob er erstmal die nächsten Stunden und die Nacht übersteht.
Für mich begann eine schlimme Zeit des Bangens und Hoffens. Tag für Tag war ich im Krankenhaus bei meinem Kind. Ich pflegte ihn wie eine Krankenschwester. Ich vergaß, zu essen, zu trinken und freute mich stattdessen über jedes Zucken, jede Regung. Ich werde niemals den Moment vergessen, als mein Sohn dann seinen ersten eigenen Atemzug machte. Obwohl ich wirtschaftlich alles verloren hatte, war dieser Moment wie ein Sechser im Lotto für mich. Es dauerte noch viele Tage, bis er wieder klar denken konnte, bis die körperlichen Wunden verheilt waren und viele Wochen bis er wieder die Schule besuchen konnte.

Zu dieser Zeit hatte ich meine finanziellen Reserven vollständig aufgebraucht und stand vor dem Nichts. Das war eine Herausforderung. Wir mussten unser Haus gegen eine kleine bezahlbare Wohnung tauschen und waren völlig mittellos. Ich suchte Gelegenheitsjobs. Um uns durchzubringen schrieb ich Lieferscheine in einer Spedition, kellnerte am Abend und half am Wochenende in einem Eiscafé aus. Angetrieben von der Geldnot und meinem Ehrgeiz, wieder auf die Füße zu kommen, lernte ich in jeder freien Minute. Ich brachte mir selbst Buchführungswissen bei. Schließlich schaffte ich es dann, in einem Steuerbüro als Aushilfe unterzukommen.

Etwas später gelang es mir sogar, eine Festanstellung in einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu bekommen. Leider musste ich diese bereits nach drei Monaten in der Probezeit wieder aufgeben.

Der Grund war ein weiterer Schicksalsschlag, der mich völlig aus der Bahn warf. An Arbeiten war gar nicht mehr zu denken. Ein Jahr nach dem schrecklichen Unfall meines Sohnes rief mein Bruder weinend und völlig aufgelöst an. Unser ältester Bruder, der auch mein allerbester Freund war, wurde beim Fahrradfahren von einem Auto erfasst und verstarb während der anschließenden fünfstündigen Operation. Ich war gerade dabei, zu lernen, mit dem Verkehrsunfall meines Sohnes klarzukommen, war im Begriff, loszulassen. Die mentalen Wunden waren inzwischen auch weitestgehend abgeheilt, die Normalität langsam wieder eingekehrt und dann das.
Es war ein Freitag, der 13. Dezember 1996 – also ganz kurz vor Weihnachten. Mein Bruder fuhr jeden Abend mit dem Rad als Therapie nach einer Knieoperation und fiel einem Raser beim Überholvorgang zum Opfer. Für mich fühlte es sich an wie eine Wiederholung des bereits Erlebten, nur dieses Mal ohne glücklichen Ausgang. Es dauerte sehr lange, bis ich wieder einigermaßen auf die Füße kam.

Während dieser Zeit kümmerte ich mich gleichzeitig weiter um eine neue Festanstellung. Zum Glück ist es mir gelungen, mich als Finanzbuchhalterin in einem mittelständischen Unternehmen zu beweisen. Ich hatte es endlich geschafft, wieder ein stabiles Einkommen zu erhalten und die Schulden abbauen zu können.

Wenn Du es Dir vorstellen kannst, kannst Du es auch tun

Trotzdem hörte ich nicht auf, mich immer weiter zu bilden. Auf diese Weise gelang mir ein gewaltiger Karrieresprung. Ich wurde Leiterin des Finanz- und Rechnungswesens einer Aktiengesellschaft mit sieben Tochtergesellschaften und hatte wieder ein hohes Einkommen. Ganze 15 Jahre in der Finanzbuchhaltung kamen da zusammen. Doch dann kam der Wunsch auf, wieder im Vertrieb tätig zu sein, direkt mit Menschen zu arbeiten. Und so wagte ich nochmal einen Absprung. Allerdings nicht, ohne mich vorher richtig fit im Verkauf zu machen. Ich wurde Außendienstlerin in einer Branche, in die ich mein ganzes betriebswirtschaftliches Wissen einbringen konnte. Ich war sehr schnell sehr erfolgreich und hatte ein Stückchen meiner Freiheit zurückgewonnen, die ich während meiner Selbständigkeit so liebte.

Und dann kam dieser Urlaub, dieser 20. August 2016 am Schliersee.

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Angekommen in Bayern machte ich den letzten Karrieresprung vor meinem endgültigen Ausstieg aus den Abhängigkeitsverhältnissen. Nach nur vier Monaten im Unternehmen vertraute mir mein neuer Münchner Chef den vertrieblichen Aufbau seiner neuen Tochtergesellschaft an. Ich stieg noch einmal auf und wurde Head of Sales eines Startups.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, weiß ich nicht, ob ich diese letzte Etappe alleine geschafft hätte – in der kurzen Zeit von nur vier Monaten.

Mir hat die fachliche und vor allem mentale Unterstützung meiner Personalcoachin unglaublich geholfen. Ich lief zur besten Form meiner selbst auf. Deshalb kann ich an dieser Stelle voller Überzeugung die Empfehlung aussprechen, sich Unterstützung einzuholen. Es lohnt sich immer, auf Menschen zu schauen, die bereits dort sind, wo man selbst gerne hin möchte und in die eigene Entwicklung zu investieren. Ein guter Berater holt einen genau dort ab, wo man gerade steht, zeigt die einzelnen Schritte auf und begleitet seine Kunden solange, bis er sich wieder entbehrlich macht.

Für mich hat es sich jedenfalls gelohnt, nicht nur, um den neuen Job zu finden, den ich inzwischen wieder an den Nagel gehängt habe. Ich habe verstanden, dass ich schon alles in mir habe, was ich brauche, um meine Träume zu leben. Es fehlt nur manchmal an einer klaren Strategie zur Umsetzung. Und da kann jemand von außen gezielt Impulse setzen.

Alles wird gut

Mittlerweile bin ich selbst zum Impulsgeber geworden und helfe als Beraterin Menschen, ihren Weg zu finden, das zu bekommen, was sie wollen. Das Leben ist einfach zu kurz, um verpassten Chancen nachzutrauern, Zweifeln zu folgen und sich von anderen seine Pläne ausreden zu lassen. Es erfüllt mich zutiefst, mein Wissen weiterzugeben und andere Menschen größer zu machen.

Ach, eins noch. Im Prinzip bin ich ja damals wegen der Nähe zu den nur geplanten, aber noch nicht vorhandenen Enkelkindern zu Höchstleistungen aufgelaufen. Ich bin jetzt in der Nähe, doch die Enkelkinder ließen noch vier Jahre auf sich warten. Nun sind sie endlich da. Zur großen Überraschung gleich im Dreierpack. Ich bin seit Weihnachten 2020 glückliche Oma von Drillingen.

Diesen großen Schritt, wegzugehen und alles hinter mir zulassen, habe ich nie bereut. Im Gegenteil, nun möchte ich noch mehr. Ich bin inspiriert, auch weiterhin die eingeschlagenen Wege zu verlassen, um neue Chancen nicht zu verpassen. Bereits mehrfach durfte ich inzwischen hören, dass ich eine richtige Mutmacherin bin und ein Vorbild für andere. Das Leben steckt voller Überraschungen.

Hast du auch eine Story, die es wert ist erzählt zu werden? 

Hast du etwas richtig tolles erlebt, etwas was außerhalb deiner Komfortzone lag und das nicht 0815 Status Quo war? Willst du damit mal so richtig auf den Tisch hauen und allen Menschen zeigen, was eine Powerfrau in dir steckt?

Und vor allem andere Frauen damit inspirieren?

Oder aber du hast eine schwere Zeit durchlebt, hast alles überstanden und stehst jetzt mit erhobenem Kopf da. Willst du anderen Frauen zeigen, dass alles möglich ist, egal wie ausweglos eine Situation erscheinen mag?

Wir glauben: 

Every Woman has a Story. 

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