Ich bin Vollzeit-Mama von drei Kindern. – Ich bin aber…
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ToggleWas Vereinbarkeit wirklich ist und was nicht
„Wie schaffst du das denn alles? Kind, Job, Haus, Ehe, Garten, Auto…?“ Ganz ehrlich: Mir wurde diese Frage noch nie gestellt. Und wenn ich so in mich kehre, dann bin ich der Überzeugung, das hat genau zwei Gründe: Zum einen, weil ich es schlichtweg NICHT schaffe.
Ich komme ständig an meine Grenzen. Ich habe Tage, da bin ich so erschöpft, dass ich Dinge tue, die mich an meiner geistigen Gesundheit zweifeln lassen. Da finde ich den Salzstreuer im Kühlschrank wieder und den Käse in der Brotbox.
Zum anderen fragt mich niemand „Wie schaffst du das denn alles?“, weil ich schlichtweg keinen Hehl daraus mache, wie es wirklich in mir und unter meinem Sofa aussieht. Ich sage es jedem, der es wissen will, dass mich diese ständige Verfügbarkeit aufregt, dass ich mich fühle wie der Haussklave und ja, dass Arbeit für mich wie Urlaub ist. Ich muss zugeben, so habe ich mir Vereinbarkeit sicher nicht vorgestellt. Aber gibt es Vereinbarkeit überhaupt? Oder ist das ein weiteres schreckliches gesellschaftliches Korsett, das uns Frauen angelegt wurde?
Muttersein und ein erfüllter Job?
Seit Geburt meiner ersten Tochter packt mich die Frage: Wie kann ich Muttersein und meinen Job so leben, dass es mich erfüllt? Zugegeben, ich hatte schon sehr abstruse Vorstellungen, bevor mich das echte Mamaleben gepackt hat: Ich habe in der Schwangerschaft mein Buch geschrieben, das ich dann in der ersten Zeit mit Baby noch Korrektur lesen wollte. Denn Babys schlafen ja am Anfang so viel!
Nur nicht meines. Meines war die meiste Zeit wach und hat geschrien. Meines hat sich auch nicht in Wiege, geschweige denn Kinderwagen legen lassen. Mein Baby wollte immer nur getragen werden. Und so wurde mir auch schnell klar, dass meine Vorstellung, mit Baby im Kinderwagen über die Buchmesse zu schlendern und dabei mein eigenes Buch zu entdecken wie eine Seifenblase platzte. Auf der Buchmesse war ich nicht. Stattdessen setzte mich das Leben auf den Hosenboden. Und so stand ich mit Kopf und Baby unterm Arm nach 8 Wochen in der Psychiatrie. Diagnose: Ausgeprägte Wochenbettdepression. Ich durfte mich neben der körperlichen Regeneration komplett aufräumen. Ich durfte in dieser Zeit alles auf den Kopf stellen. Ich durfte mir aber auch eingestehen, dass meine Arbeit ein so wichtiger Teil von mir ist, dass ich es hinkriegen darf, meine Ansprüche als Mutter und meine Ansprüche an den Job in Einklang zu bringen.
Gibt es Vereinbarkeit überhaupt?
So habe ich für mich früh auf die Frage “Gibt es eine Vereinbarkeit überhaupt” festgestellt: Vereinbarkeit von Job und Familienleben ist dynamisch.
Das heißt, es ist ein ständiges Wandern zwischen den Polen. Sowohl im Außen als auch im Innen. Und was es zwingend braucht, ist Fokus. Ich habe durch mein Mamasein gelernt, was es heißt, wirklich in der Gegenwart zu sein. Alles andere treibt mich in den Wahnsinn. Es macht mich nur unglücklich, wenn ich am Küchentisch mit deinen Kindern.
Knetmasse hin- und her drücken und dabei ausrechne, wie viele E-mails ich nun schon beantworten haben könnte. Wenn ich Knetmasse spiele, spiele ich Knetmasse. Und wenn ich gerade beim Kunden ein Strategiemeeting moderiere, dann macht es keinen Sinn, jetzt darüber nachzudenken, dass ich lieber mit meinen Kindern im Freibad wäre. Knetmasse ist Knetmasse und Strategiemeeting ist Strategiemeeting. Beides hat ein Recht, zu seiner Zeit da zu sein und gelebt zu werden.
Vereinbarkeit muss flexibel sein!
Weiter steht für mich fest: Vereinbarkeit muss flexibel sein. Was heute funktioniert muss, morgen nicht mehr funktionieren. Nicht selten musste ich kurzfristig Kinderbetreuungen umorganisieren, weil irgendjemand die ganze Nacht gekotzt, einen Entwicklungsschub oder einfach keine Lust hatte. Ich habe gelernt, schnell Altbewährtes Loszulassen und Neues zu kreieren. Denn alleine wenn wir uns Kinder ansehen, wie rasant sie sich entwickeln, wie sie wachsen, dann ist es für mich wie selbstverständlich, dass auch Strukturen, Checklisten und Betreuungsformate immer wieder angepasst werden dürfen.
Flexibilität und Anpassung gilt auch für mich: Ich als Mama darf meine Erwartungen ständig gerade ziehen. Ich habe für mich erkannt, dass ich vielmehr an meinem hausgemachten Druck leide als an dem von außen Auferlegtem. Wobei Letzterer nicht ohne ist. Dieser enorme Druck, die erfolgreiche Business-Frau und gleichzeitig fürsorgliche Mutter zu sein, ist durch die große Freiheit entstanden, dass wir eine der ersten Generationen sind, die alles haben können.
Unsere Mütter und Großmütter hatten selten die Möglichkeit, ihre Ausbildung frei zu wählen oder überhaupt arbeiten zu gehen. Zukunft und Rollen waren fest vorgegeben – was zugegeben, auch manchmal eine Entlastung sein kann. Doch nun haben wir – die „neuen Frauen“ – die Freiheit. Wir können wählen: Kind oder Karriere? Oder Kind UND Karriere…? Und gleichzeitig wollen wir als brave Töchter die Mütter, Großmütter und Ur-Großmütter nicht enttäuschen, die vor unserem inneren Auge mit erhobenem Zeigefinger stehen und uns zurufen:
„Nutze deine Chance! Du hast die Möglichkeiten, die ich nie hatte! Du kannst alles haben!“ Oder vielleicht auch „Du MUSST alles haben!
Wofür hätten wir denn sonst Blut und Tränen vergossen…“ (um ein bisschen pathetisch zu sein…) Ein Dilemma, wie ich finde. Freiheit bedingt auch immer Verantwortung.
Vereinbarkeit ? Es ist ein ständiger Kompromiss!
Aber meine wohl wichtigste Erkenntnis zu der Frage “Gibt es Vereinbarkeit?” ist: Ich verstehe unter Vereinbarkeit nicht, dass ich einen Vollzeit-Job machen kann und gleichzeitig eine ausgeglichene, omnipräsente Helikopter-Mama sein kann. Die Wahrheit ist, es ist ein ständiger Kompromiss. Ich darf meine Wahrheit finden, nicht die, die der Gesellschaft, der sozialen Medien oder der Nachbarin. Denn sie lügen meist alle drei.
Für mich bedeutet Vereinbarkeit vor allem und in erster Linie eines: vereinbar mit mir selbst. Mir selbst treu bleiben, meine Werte zu kennen und auch bereit sein, sie ständig im Wandel sein zu lassen, um dann schlussendlich Sinn zu finden. Sinn, nicht zuletzt nur im Job, sondern dabei eine Identität der Mutter zu entwickeln, die zu mir passt. Eine Mutter, die nicht den allgemeinen Vorstellungen entspricht. Nicht die perfekte Mutter, jedoch die für mich perfekte Mutter. Um zur besten Version meiner selbst zu werden.
Dazu gibt es auch einen sehr interessanten Artikel in der Berliner Zeitung in Form eines Briefes einer Mutter an ihre Tochter dazu in der Berliner Zeitung.
Was denkst du über das Thema? Gibt es Vereinbarkeit deiner Meinung nach? Teile mit uns deine Meinung in den Kommentaren! Im Blog von Dr. Susanne Dietz gibt es noch mehr Erfahrungsberichte einer Working Mum.
Lust auf mehr?
Hier gibt es noch mehr zum Thema Karriere und der Rubrik Working Mum.
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Ich bin Vollzeit-Mama von drei Kindern. – Ich bin aber auch Vollzeit berufstätig. Nach Studium, Promotion, abgeschlossener Coaching-Ausbildung und intensiver Praxiserfahrung als Angestellte in großartigen Unternehmen war es 2012 soweit und ich war mutig: Ich ging in die Selbständigkeit und fand dort neue Abenteuer.Meine Berufung heute: ein Potpourri an Rollen. Ich bin Sinnforscherin, Podcasterin, Autorin, Coach, Trainerin, Lehrbeauftragte und Mutter. Ich arbeite nach wie vor mit Herz und Seele als Personalentwicklerin, unterstütze Einzelpersonen individuell im Coaching, bin in meinen Keynotes freudig und gleichzeitig leidenschaftlich auf der Bühne um mit gezielten Impulsen ein großes Publikum zu erreichen. Ich liebe es aber auch als Lehrbeauftragte an Hochschulen mit jungen Menschen an innovativen Ansätzen zu arbeiten und quer zu denken und freue mich über Tiefgang in meinen individuellen Beratungen und Trainings in Unternehmen.