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Ungewollt und chancenlos im sozialen Brennpunkt geboren

Ungewollt und chancenlos im sozialen Brennpunkt geboren

Jessica Verfürth
Ungewollt-und-chancenlos-The-Bold-Woman

TW: Dieser Text über gewalttätige Beziehungen könnte Trigger für Betroffene auslösen.

Die Wut, meine Schöpferkraft.

Als meine Mutter ungewollt mit mir schwanger war, wollte sie mich nicht. Laut Erzählungen saß sie schon zum Termin für die Abtreibung in der Klinik. Mein Vater kam und bekniete sie, mich dennoch auszutragen.

Die Beziehung meiner Eltern war geprägt von Alkohol- und Drogeneskapaden sowie Gewalttätigkeiten meiner Mutter gegenüber meinem Vater. Schon bald verließ er meine Mutter und ließ mich bei ihr zurück.

Der einzige Mensch, der mich jemals wollte, ließ mich allein.

Schon als kleines Kind musste ich die Verantwortung für mein eigenes Überleben übernehmen. Ich wuchs ohne das Urvertrauen und ohne das Gefühl, wirklich willkommen und geliebt zu sein, auf.

Anfangs gab sich meine Mutter noch Mühe, eine wirklich gute Mutter zu sein, doch nach und nach nahm ihr Alkoholkonsum immer mehr Platz in ihrem Leben ein.

Ich entwickelte mich zu einem wirklich sehr problematischen Teenager mit absoluter Selbstzerstörungssucht wie Kiffen, Schwänzen, Sex mit Idioten oder nicht genug und gesund zu essen.

Als ich mit 14 schwanger wurde, war das das Beste, was mir passieren konnte, denn ich hatte wieder einen Lichtblick und dadurch eine Perspektive für mein Leben.

Obwohl ich die Schule mit 14 Jahren abgebrochen hatte, war ich bereit, für mein Baby einen Schulabschluss nachzuholen. So ging ich also dann noch mal mit Baby auf eine Mutter-Kind-Schule.

Verliebt in einen (Alp)-Traum

Mit knapp 18 Jahren lernte ich einen Mann kennen, der alles zu haben schien, was ich immer wollte. Er wirkte wie der schwarze Ritter auf dem weißen Pferd in einer glänzenden Rüstung, die mich vor seinen wahren Identität blendete. Ich verliebte mich Hals über Kopf in das Bild, das ich von diesem Mann hatte und war bereit, für ihn alles aufzugeben, nur um mit ihm zusammen sein zu können.

Der Liebesmangel meiner Kindheit und die prägenden Beziehungen meiner Mutter mit gewalttätigen Männern hatten den Weg für diesen Mann und diese Beziehung geebnet.

Als er mich das erste Mal schlug, war es schon zu spät für mich, zu erkennen, dass ich noch eine Wahl hatte. Erst blieb ich aus Liebe und Hoffnung, dass er sich verändern würde. Dann aus Angst, dass er mir und meinen mittlerweile zwei Kindern, wovon ein Sohn sein eigener ist, noch Schlimmeres antun würde, wenn ich ihn verlasse.

Es kam die Nacht, in der ich wusste, heute wird er mich umbringen.

Nur weil er mich schon tagelang misshandelte und irgendwann davon müde wurde und einschlief, gelang mir die Flucht.

Am Abend zuvor brachte er die Kinder zu seiner Mutter, was er sonst nie tat. Und deshalb wusste ich, dass er mich töten wollte.

Mitten in der Nacht lief ich leicht bekleidet durch Schnee und Kälte in mein neues Leben.

Ein langer und sehr kraftraubender Gerichtsprozess folgte und das Urteil von neun Jahren Haft wurde rechtskräftig.

Als ich die wahre Liebe entdeckte

Ich verließ mit meinen Kindern die Stadt und zog über 300 Kilometer weit weg, um neu anzufangen. Doch eine posttraumatische Belastungsstörung und das Gefühl, mutterseelenallein auf dieser Welt zu sein, hielten mich noch einige Zeit in Schach.

Bis zu dem Tag, als ich erkannte, dass es eine Liebe da draußen gibt, die viel größer ist, als alles, was ich mir vorstellen kann. Die alles möglich machen kann, wenn ich bereit bin, loszulassen und ihr zu vertrauen. Diese Liebe, von der ich spreche nannte ich damals Gott. Heute ist diese Liebe doch so viel mehr für mich geworden.

Ich warf meine Antidepressiva in den Müll (nicht nachmachen!) und entschied, alles mir Menschenmögliche daran zu setzen, das beste Leben für mich und meine Kinder zu kreieren. Natürlich konnte ich meine destruktive Verhaltensmuster nicht von heute auf morgen verändern. Es war ein Prozess, in dem ich soweit emotional von mir distanziert war, dass ich mich noch lange Zeit im Kreis drehte.

Aber immerhin: Ich war am Leben und ich wusste, dass meine Kinder bei mir in Sicherheit waren.

Ich lernte meinen jetzigen Ehemann kennen und auch diese Beziehung war von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wir führten jahrelang eine On-Off-Beziehung mit einer Scheidung und Wiederheirat.

Mittlerweile sind wir aber in unserer Beziehung wirklich sehr glücklich und aufrichtig zueinander. Ich bin unendlich dankbar, dass wir beide immer wieder den Mut gefunden haben, uns aufeinander einzulassen, weil wir wussten, dass wir füreinander bestimmt sind.

Wut als Motivation

Lange Zeit war mein Leben angetrieben von dieser unendlichen Wut in mir.

Auf meinen Vater, meine Mutter, diesen Mann, der mir das angetan hat, auf mich selbst und darüber, wie ich zugelassen habe, dass mir jemand so etwas antut und auf das Leben selbst.

Als ich verstand, dass hinter dieser Wut eine unglaubliche Energie steckt, die ich transformieren und somit lenken und für etwas Wunderbares nutzen kann, wurde diese Wut mein bester Freund.

Heute kann ich mit dieser Energie unglaubliche Dinge erreichen. Aus meiner Wut ziehe ich meine Schöpferkraft.

Entscheidung meines Lebens

Lange Zeit drehte sich mein Leben in diesen wirklich destruktiven Verhaltensmustern aus Wut, Zerstörung und Selbstverachtung im Kreis. Ich erreichte den Punkt, an dem ich eine Entscheidung für mich und mein Leben getroffen habe.

Ich habe mir selbst in die Hände gespuckt und versprochen, das Bestmögliche aus meinem Leben zu machen, das ich mir vorstellen kann. Ich nahm Abstand zu allen Dingen, die mir geschadet haben und löste mich aus Freundschaften, die mir nicht gut taten. Ich begann, mich intensiv mit Persönlichkeitsentwicklung und Potenzialentfaltung zu beschäftigen und meine eigenen seelischen Wunden zu heilen.

Die Beziehung zu mir selbst und dadurch auch die Beziehung zu meinem Ehemann und meinen Kindern verbesserte sich enorm. Ich konnte meine Fehler annehmen, mich mit ihnen aussöhnen und die Menschen, die ich liebe, aufrichtig um Vergebung bitten.

Ich lernte auch, allen zu verzeihen, die mich verletzt hatten und diesen Schmerz loszulassen. Die größte Herausforderung hierbei war für mich, zu akzeptieren, dass auch ich bei all diesen Verletzungen in meinem Leben einen Teil der Verantwortung trug.

Raus aus der Komfortzone

Nach diesem unglaublich befreienden Prozess konnte ich eine ungeahnte Energie in mir freisetzen. Es war die Energie hinter meiner Wut, diese Energie, die ich heute als meine absolute Schöpferkraft wahrnehme. Es ist eine Energie, die mich dazu befähigt hat, mein Leben selbst zu gestalten.

Ich habe für mich den Entschluss gefasst, mit allen Konventionen in meinem Leben zu brechen und konnte mir dadurch das Leben kreieren, das ich mir wirklich wünsche.

Ende 2017 fasste ich den Entschluss alles hinzuschmeißen und “irgendwas mit Online-Business” zu machen. Zuvor hatte ich eine Großtagespflegestätte gegründet, weil mein Sohn nicht beschulbar war/ist.Ich verließ diesen sicheren 9to5 Job, war bereit, mein wunderschönes Reihenhäuschen zu kündigen und wollte mit meiner Familie ortsunabhängig und frei leben können.

Ich investierte unglaublich viel Zeit darin, mir alle Skills anzueignen, die man für ein Online-Business benötigt.

Am 01.12.2018 konnte ich mir meinen Traum vom ortsunabhängigen Leben erfüllen und saß mit meiner Familie im Flieger nach Teneriffa.

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Meine Metamorphose

Jetzt hier auf Teneriffa habe ich das erste Mal die Zeit gefunden und den Wunsch verspürt, mich mit meiner emotionalen Welt auseinanderzusetzen. Aufgrund all der Dinge, die ich erlebt habe, war ich emotional sehr verstört und habe oft keinen Zugang mehr zu meinen Gefühlen gefunden. Was eine zeitlang gut war, denn es hat mein Überleben gesichert. Jetzt brauche ich das nicht mehr und ich konnte mich endlich für meine Gefühlswelt öffnen. Ich konnte ein klares ‘Ja’ zu allen meinen Emotionen finden.

Dadurch hat sich unglaublich viel in meinem Leben verändert, meine Ehe, die lange wirklich, wirklich kompliziert war, hat ein Niveau erreicht, auf dem sie unantastbar ist.

Erst jetzt, weil ich mir meiner tiefgründigen Liebe zu meinem Mann bewusst bin.

Aber vor allem hat sich die Beziehung zu mir selbst unglaublich verändert. Ich habe nicht mehr das Gefühl, etwas leisten zu müssen, um wertvoll zu sein. Ich habe verstanden, dass ich wertvoll bin, weil ich bin, wie ich bin. Und ich habe meine Gabe und mein Potenzial entdeckt.

Ich helfe Scannerladies dabei, ihre Genialität zu erkennen und sich in ihrem Business zu entfalten.

Aber meine Arbeit ist mehr als nur ein Business-Coaching, es ist für meine Kundinnen eine Reise durch ihre innere Zerrissenheit an deren Ende die Erkenntnis zur wahren Genialität und zahlreichen Möglichkeiten in ihrem Leben steht.

Mein wichtigstes Learning auf diesem ganzen Weg war, eine klare Entscheidung für mich mit allem, was ich bin, zu treffen und mir zu erlauben, zu sein, wer ich bin und zu machen, wofür mein Herz schlägt, egal was andere über mich denken oder sagen.

Ich bin ungewollt und chancenlos in eine suchtkranke Familie und ohne Urvertrauen geboren worden und lebe heute ein Leben in wahrer Fülle, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch auf emotionaler Ebene.

Und auch wenn mein Leben nicht perfekt ist – denn ich habe immer noch eine konfliktbeladene Beziehung zu meiner Mutter und habe natürlich auch noch die eine oder andere Herausforderung in meinem Alltag – hat sich die Perspektive auf all diese Dinge für mich grundlegend verändert. Ich versuche diesen Situationen mit Liebe zu begegnen. Manchmal gelingt es mir sofort und manchmal dauert es ein wenig und manchmal darf ich mich aus Liebe zu mir selbst vor gewissen Dinge in meinem Leben schützen.

Wo auch immer du bist, was auch immer du machst und welche Situationen und Herausforderungen in deinem Leben auftreten, möchte ich dir einen Impuls mit auf dem Weg geben: Du bist die wichtigste Person in deinem Leben. Bitte behandle dich auch so, denn dann ist alles möglich, wovon du träumst.

Als Überlebende einer wirklich sehr gewalttätigen Beziehung ist es mir eine Herzensangelegenheit, Frauen in häuslicher Gewalt ein alternatives Leben aufzuzeigen. Jede dritte Frau ist betroffen. Deshalb bin ich Botschafterin für “Sichere Zuflucht”, einer Organisation, die es Frauen ermöglicht, eine sichere Unterkunft zu finden und ein Netzwerk an Rechtsbeistand, Frauengesundheit und Coaches an die Hand gibt. www.sichere-zuflucht.de

Hast du auch eine Story, die es wert ist erzählt zu werden? 

Hast du etwas richtig tolles erlebt, etwas was außerhalb deiner Komfortzone lag und das nicht 0815 Status Quo war? Willst du damit mal so richtig auf den Tisch hauen und allen Menschen zeigen, was für eine Powerfrau in dir steckt?

Und vor allem andere Frauen damit inspirieren?

Oder aber du hast eine schwere Zeit durchlebt, hast alles überstanden und stehst jetzt mit erhobenem Kopf da. Willst du anderen Frauen zeigen, dass alles möglich ist, egal wie ausweglos eine Situation erscheinen mag?

Wir glauben: 

Every Woman has a Story. 

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